Am Ende noch ein Hubschraubereinsatz - Erlebnisse eines Rallye-Schraubers

04.06.2022

Sie stehen nie im Rampenlicht, statt dessen oft bis spät in die Nacht im Arbeitslicht ihrer Scheinwerfer: Die Mechaniker bei den großen Wüstenrallyes. Ohne sie geht nichts.


Steffen Schumann ist wohl das, was man einen alten Schrauber-Hasen nennt. Er muss selbst überlegen ob die Rally Fenix 2022 in Tuesien seine zehnte Rallye ist oder vielleicht schon die elfte? Dieses Jahr hat er jedenfalls beim Team Eble4x4 angeheuert, das mit drei Fahrzeugen in der SSV-Klasse am Start ist.

Seit frühester Jugend schraubt Steffen an Autos herum. Gerade hat er einen Chevy Pickup aus den 80ern in der Mache. Neuer Motor, neues Getriebe, wenn er fertig ist, hat der Chevy mit dem Original nicht mehr viel zu tun. Dafür ist er garantiert besser als neu.



Zu den Rallyes kam Steffen über seinen Vater. Inzwischen ist er 32 Jahre alt und gestandener Diplomingenieur für Fahrzeugtechnik. Aber irgendwie lässt ihn die Rallyeszene nicht los. Die meisten Schrauber hier sind Wiederholungstäter. Man kennt sich untereinander nach all den Jahren. Zeit für einen Plausch bleibt immer und selbstverständlich hilft man sich mit Werkzeug, Teilen oder dem einen oder anderen Tipp. Es ist eine Mischung aus Idealismus, Rallyeromantik und einem Schuss Abenteuerlust, die die meisten hier antreibt. Denn zu verdienen gibt es nichts. Wenn es gut läuft bleibt es ein Nullsummenspiel. "Ich setzte meine Arbeitskraft ein und dafür bin ich dabei", fast Steffen die Schlichtheit des Deals zusammen. Im Normalfall übernehmen die Teams die Reisekosten für ihre Serviceleute und die Kosten für Unterkunft und Essen. Bei der Rally Fenix etwa kostet eine Servicekraft in einem "halben Doppelzimmer" mit Halbpension einen guten Tausender.

Völlig außerhalb der Rechnung bleibt der Zeitfakor. Steffen hat für die Fenix immerhin 12 Arbeitstage eingesetzt. Etwa die Hälfte sind Überstunden, der Rest Urlaubstage. Mehr vom gemeinsamen Urlaub abzuzweigen fände die Freundin nicht gut. Aber Urlaub ist sowieso anders. "Zu wenig schlafen, früh aufstehen, schauen, dass alle gut zum Start kommen, aufräumen, Sprit besorgen, ein bisschen Schlaf nachholen und mit Glück vielleicht mal an die Strecke zum Gucken fahren", beschreibt Steffen seinen Rallyealltag.


Am späten Nachmittag, wenn die Teams zurück ins Fahrerlager kommen, wird es hektischer. Der Standard-Service für alle Fahrzeuge steht an: Jedes Fahrzeug hochnehmen, Räder "abwackeln", Radaufhängungen, Fahrwerk Achswellenmanschetten checken, Reifen auf Beschädigungen und Motor und Getriebe auf Dichtheit hin untersuchen, Luftdruck, Wasser und alle Öle prüfen, und - ganz wichtig in der Wüste - Luftfilter säubern, dann noch, wenn nötig, tanken und das Fahrzeug wenigstens grob säubern. Wenn es dabei bleibt, ist der Abend kurz und die Nacht lang. Gibt es Schäden, ist es umgekehrt.

Und heute ist umgekehrt. Nachtschicht angesagt. Adrian von Lerber ist mit seiner Yamaha YXZ 1000 zu flott über eine Dünenkuppe geflogen, ein brachialer Einschlag komplett aufs linke Vorderrad - das war zu viel für die Lenkung. Schnell ist klar, da ist nichts mehr zu reparieren. "Du musst einfach hoffen, dass du das was kaputt geht, einfach irgendwie wieder hinkriegst", meint Steffen, "oder du hast die richtigen Ersatzteile dabei." Zum Glück hat das Team eine gebrauchte Lenkung im Gepäck. Im gleißenden Licht der Arbeitsscheinwerfer werkelt Steffen an der YXZ, vermisst die Spurstangen so exakt wie möglich, checkt das neue Lenkgetriebe lieber zweimal vor dem Einbau, dazwischen schnell ein hastiges Abendessen im Hotelrestaurant und gegen ein Uhr morgens läuft die Yamaha wieder so sauber nach links und rechts und geradeaus, als ob nie etwas gewesen wäre. Steffen räumt zusammen und fällt ins Bett.


Am letzten Tag der Rallye bekommt auch Steffen sein großes Abenteuer - Hubschraubereinsatz. Der Can Am Maverick X3 Pro von Jens Nador aus dem Eble-Team ist mit eingeknicktem A-Arm vorne links in den Dünen bei Ksar Ghilane liegen geblieben. Die Orga hat zwar kein Bergefahrzeug zur Verfügung, bietet aber an, Fahrer, Mechaniker und Ersatzteil zum Maverick zu fliegen - sehr ungewöhnlich, aber wenn's funktioniert, bitte sehr. Doch dann fehlt im Heli ein Platz. Also fliegt Steffen zunächst allein zum Maverick. Nach knapp zwei Stunden hat er ihn wieder flott. Aber es dauert ewig, bis auch Jens als Fahrer eingeflogen wird. Die letzten 14 km quer durch die Dünen ziehen sich hin. Die Dunkelheit bricht herein. Mehrfach müssen die beiden den Maverick freischaufeln, bevor sie ihn endlich auf dem Hänger haben.

Da ist die Siegerehrung längst gelaufen. Das Team hat zusammengepackt. Und Punkt 4:00 Uhr ist die Nacht zu Ende. Steffen klemmt sich hinters Steuer des Transporters. Die Karawane bricht auf Richtung Tunis zur Fähre. Nächstes Jahr will er wieder dabei sein - mit dem Pickup und der Freundin, aber nur zum Gucken.