Breit is beautyful

24.04.2024

Segway hat seinen Villain SX 10 gründlich überarbeitet. Jetzt kommt der Powersportler wahlweise mit 64 oder 72 Zoll-Fahrwerk und einer LoF-Homologation für eine problemlose Zulassung zu den Händlern. Hier sind die ersten Fahreindrücke vom "extrabreiten" Segway Villain.

Makellos weiß und noch von keiner Pfütze bekleckert steht der brandneue SX 10 bereit fürs Fotoshooting im Offroadpark Mammut bei Stadtoldendorf. Unter dem knappen Kunststoffkleid trägt er das begehrte breite 72 Zoll Fahrwerk. Nicht weniger wichtig ist jedoch, dass exakt dieser Villain die sogenannte "Typprüfung für Geräuschemissionen" erfolgreich absolviert hat. Alle Fahrzeuge dieses Typs können nun in Deutschland problemlos als LoF zugelassen werden.

Bislang war die LoF-Zulassung eines Segway Villain SX 10 nur durch eine Einzelabnahme und mit viel gutem Willen des jeweiligen Prüfers möglich. Der musste sozusagen beide Ohren zudrücken, denn der Villain war schlicht und ergreifend viel zu laut für deutsche Zulassungsbestimmungen. Über ein Jahr haben die Ingenieure beim Hersteller in China am Ansaugtrakt und der Abgasführung getüftelt. Mehrere Anläufe zu einer LoF-Homolotion scheiterten. Jetzt dämmt u.a. ein neuer Luftfilterkasten das Ansauggeräusch. Ein neuer Endschalldämpfer hält hinten raus die Dezibel im Zaum. Und jetzt hat es endlich geklappt. Doch die schier endlose Arbeit am Lärmproblem hatte auch einen positiven Nebeneffekt. In dieser Zeit flossen werksseitig viele weitere Detailverbesserungen in den Villain ein. Das beginnt mit Kleinigkeiten wie einem neuen Starterrelais und endet bei einer brandneuen CVT, die jetzt der kanadische Premiumhersteller CVTech zuliefert. Die Techniker beim Importeur Herkules Motor sprechen bereits von einem "Villain der 2. Generation".

Unser Testkandidat ist eine echte Blaue Mauritius. Das breite Fahrwerk wird hierzulande nur in der Deluxe-Ausführung mit dem großen Smart-Touchscreen lieferbar sein. Für die Homologation haben die Chinesen jedoch einen Villain mit breiter Spur und Normalausstattung geschickt. Der hat statt des Bildschirms ein wasserdicht schließendes kleines Staufach. Das ist zwar bei weitem nicht so schick, aber dafür gar nicht mal so unpraktisch, denn Handy und Papiere sind bestens geschützt.

Sonst unterscheiden sich die Cockpits nicht. Das digitale Kombi-Instrument präsentiert beim Hochfahren zunächst in einer Art Mini-Movie kurz die Segway-Fahrzeugpalette, bevor es mit den eigentlichen Anzeigen startet. Da ist dann aber alles dabei, bis hin zur verbleibenden Reichweite. Die Sitze sind in der Länge verstellbar und ermöglichen eine aufrechte Sitzposition für eine gute Rundumsicht. Die Vierpunktgurte vermitteln zusätzlich ein angenehmes Gefühl von Sicherheit. Das Lenkrad ist in der Höhe verstellbar. Etwas fummelig dahinter versteckt sitzt das Schaltelement für Heck- oder Allradantrieb und die Differenzialsperre vorn. Daran, dass die Taster für Blinker sowie Abblend- und Fernlicht im Armaturenbrett platziert sind, muss man sich schlicht und ergreifend gewöhnen, auch wenn es schwerfällt. Gleich neben dem Wahlhebel für die einzelnen Fahrstufen (L-H-N-R-P) liegt der anscheinend wichtigste Hebel im ganzen Fahrzeug: Die Handbremse. Zieht man die nämlich vorm Aussteigen nicht an, fängt die Kiste fürchterlich an zu piepen. Und allen Aussteigern bietet der Villain eine wirklich freundliche Hilfestellung:

Aber jetzt geht's los. Zündung an, Startknopf drücken - doch wer jetzt auf einen sportlich-markanten Sound gehofft hat, wird enttäuscht. Die chinesischen Ingenieure haben wirklich ganze Arbeit bei der Lärmbekämpfung geleistet. Der Einliter-Twin säuselt geradezu. Selbst ein beherzter Tritt aufs Gaspedal ändert wenig an der Klangkulisse. Der Villain ist und bleibt ein ruhiger Zeitgenosse. Aber seine 105 PS schieben die Fuhre gut voran, kein Wunder, der Villain zählt schließlich mit 860 kg Gesamtgewicht eher zu den Leichtgewichten. Die neue CVT hat sich wirklich gelohnt. Da ruckelt nichts beim Anfahren und der Villain zieht ganz sauber hoch.

Auch im Gelände macht er was er soll. Solide Offroadtechnik mit zuschaltbarer Sperre vorn hält so schnell nichts auf, nicht mal der Matsch im Mammut-Park. Trotz seiner knapp 2,6 m Radstand nimmt er elegant und ohne aufzusitzen selbst die größten Kuppen. Die 30"-Räder hieven den Villain aber auch auf 36 cm über Grund.

Schnell wird auch klar: Zu eng darf es nicht werden. Schmale Trails oder die Pirsch durchs Unterholz sind nicht seins. 1,80 m Spurbreite brauchen eben Platz. Sein Geläuf sind lange Pisten, auf denen man es ordentlich gehen lassen kann. Davon hat der Offroadpark Mammut zwar nicht allzu viele, aber man merkt sofort, wie gut das Fahrwerk alle Unebenheiten einfach glatt bügelt. 400 mm Federweg vorn und 450 mm hinten zeigen eben Wirkung. Wichtig für die echten Freaks: Das Fahrwerk ist komplett einstellbar. Das gilt sowohl für die Zugstufe als auch für die High and Low Speed-Druckstufe und natürlich die Federvorspannung. 

Aber bereits in der Normaleinstellung liegt der Villain in Kurven wie das sprichwörtliche Brett. Das zeigt sich besonders bei einem Ausflug auf die Straße. Die Kurvengeschwindigkeiten sind für ein Offroadfahrzeug mit Grobstollern phänomenal. Trotz der zwangsgesperrten Hinterachse ist kaum ein Untersteuern spürbar. Aus engen Kehren zieht der Villain ohne jede Verspannung, ohne jedes Knacken souverän heraus - selbst auf Asphalt. Die elektrische Servolenkung hat wie üblich drei Stufen. Aber kompliziertes Umschalten via App kann man sich sparen. Die Normalstellung reicht offroad völlig aus und vermittelt onroad auch bei höheren Geschwindigkeiten einen guten Kontakt zur Straße. Bei 100 km/h geht der Fuß jedoch vom Gas. Das Fahrzeug ist schließlich noch nicht eingefahren. Das gilt auch für die Bremse. Die arbeitet selbst bei größtem Kraftaufwand eher mau. Über eine unterstützende Motorbremse verfügt der Villain als sportlich ambitioniertes Fahrzeug nicht. Die Betriebsanleitung weist ausdrücklich drauf hin, dass auch die Bremse eingefahren werden muss. Aber wenn sich nach der Einfahrphase nichts wesentliches an der Wirkung der vier Scheiben ändert, besteht echter Handlungsbedarf.

Eindeutig verbessern ließe sich auch der Insassenschutz - vor Wasser und Dreck. Der Homologations-Villain ist mit einer Halbscheibe ausgestattet, die den Fahrtwind ziemlich gut über die Köpfe der Insassen lenkt. Wasser und von den Reifen hochgeschleuderter Schlamm fliegen jedoch ungehindert in die Kabine. Schon nach wenigen Metern durch den Mammut-Matsch sind Fahrzeug und Passagiere amtlich eingedreckt. Der Villain mit seiner extrem knapp geschnittenen Karosserie und den noch knapperen Radabdeckungen ist ein echter Schmutzfink. Segway bietet zwar bereits eine Vollkabine an, aber eine vernünftige Frontscheibe soll es demnächst ebenfalls geben. Und warum beim Villain die unteren Türhälften ausgespart sind, wissen wohl nur die chinesischen Designer. Praktische Gründe kann es nicht haben. Immerhin hat Segway inzwischen passgenaue Paneele im Angebot. Die sind schnell montiert und sollten wie die Scheibe mit auf den Bestellzettel.

Der Segway Villain SX10 WX 72" LOF Deluxe Wide - so heißt er offiziell - kommt für 22.999 Euro in den Handel. Die ersten Fahrzeuge sind bereits auf dem Seeweg. Beim Importeur Herkules Motor geht man davon aus, dass sie noch im Mai bei den Händlern stehen.

4 Räder, 1 Riemen meint: Ein 72"-Fahrwerk und 185 cm Breite über alles - mehr bietet nur der Can-Am Maverick R. Für deutlich weniger als das halbe Geld bringt der Segway Villain SX 10 jede Menge Fahrspaß im Gelände. Sportlich ambitionierte Piloten können sich mit ihm durchaus bei Offroad-Rallyes blicken lassen. Man kann aber auch nur einen netten Sonntagsausflug machen. Der muss nicht einmal ins Gelände gehen. Der Villain ist ein Spaßgefährt für alle Fälle. Und es ist das einzige Fahrzeug, bei dem es eine tatsächlich eine halbe Tür als Zubehör gibt.

▶️ Alle Infos zu Technik und Ausstattung sind Herstellerangaben.

ℹ️ https://www.herkules-motor.de/de/segway-atv/</p>