Mit dem ATV durchs Oderbruch

13.07.2023

Ziel sind die Schiffshebewerke Niederfinow. Die Straßen sind schmal, holprig, manchmal sogar noch gepflastert. Und die Vergangenheit fährt irgendwie immer mit.

Los geht's in Seelow, einem kleinen Kreisstädtchen nur wenige Kilometer vor der polnischen Grenze. Kein Mensch würde Seelow kennen, gäbe es nicht die Seelower Höhen. Nach diesem kleinen Höhenzug ist die letzte große Schlacht im April 1945 vor der Eroberung Berlins benannt. Vier Tage dauerte das furchtbare Gemetzel. Noch heute finden sie überall im Oderbruch Blindgänger und sogar menschliche Gebeine.Das kleine Museum in der Gedenkstätte Seelower Höhen bietet in einer kurzen Filmdokumentation einen historisch präzisen Abriss der Ereignisse. Hier startet auch die Tour. Nur ein paar Kilometer weiter bei Werbig gibt es einen Aussichtspunkt. Von dort hat man einen phantastischen Blick von den Höhen hinunter ins Oderbruch. Die Weite der Landschaft und die Ruhe des Ortes wollen so gar nicht zu der kriegerischen Vergangenheit passen.

Das Oderbruch ist topfeben, die Straßen sind schmal, holprig und manchmal sogar noch gepflastert, also genauso wie es sein soll. Nur von der Oder ist nichts zu sehen. Die verläuft hinter einem hohen Deich. Und selbst von der Deichkrone kann man den Fluss oft nur erahnen. Man hat ihm viel Platz gegeben. Bei Hochwasser kann er sich weit ausbreiten, bevor es für die Menschen hinter dem Deich gefährlich wird. Mit Hochwasser kennen sie sich hier aus. Die Bilder vom Jahrhunderthochwasser im Jahr 1997 haben viele noch im Kopf.

Der Deichweg und die Krone sind nur für Radler befahrbar. Hier verläuft der Oder-Neiße-Radweg. Nur an ganz wenigen Stellen dürfen auch Fahrzeuge auf den Deich, in Kienitz zum Beispiel sind ein paar 100 Meter befahrbar, weil die Leute sonst nicht zu Ihren Häusern gelangen würden. Mitten im Ort steht ein sowjetischer T 34 auf einem Betonsockel. Das sogenannte Panzerdenkmal soll an den ersten sowjetischen Brückenkopf auf der westlichen Oderseite erinnern. Am Ende waren 80 Prozent von Kienitz zerstört.

Gleich neben dem Panzer hat ein Storchenpaar sein Nest auf einem hölzernen Strommasten gebaut. Störchen gefällt es gut im Oderbruch, denn hier gibt es viel Wasser und feuchte Wiesen mit leckeren Fröschen. Ursprünglich bildete die Oder hier eine von zahllosen Flussarmen durchzogene Sumpflandschaft. Mitte des 18. Jahrhunderts begann die Trockenlegung und schrittweise wandelte sich das Oderbruch in eine fruchtbare Kulturlandschaft. 2022 erhielt das Oderbruch dafür das europäische Kulturerbe-Siegel. 

Das angebaute Getreide wurde lange Zeit über den Oderhafen Groß Neuendorf verschifft. Der ist jedoch lange stillgelegt. Heute nennt sich das sorgfältig restaurierte Ensemble Kulturhafen und ist unbedingt eine Pause wert. Im alten Förderturm ist ein Kaffee untergebracht. Von dort oben hat man einen phantastischen Blick über den Fluss bis weit hinein nach Polen. Ein Stockwerk höher kann man sogar in der sogenannten Turmwohnung übernachten. Wer es ein wenig ebenerdiger mag: Auch in die Güterwaggons der ehemaligen Oderbruchbahn, die wie vergessen auf den verbliebenen Gleisen stehen, kann man sich einmieten.

Näher als auf der Ruschebuhne kommt man der Oder nirgends. Früher war hier eine Fährstation, aber die Fähre fährt schon lange nicht mehr. Die Verbindung nach Polen übernimmt längst die Autofähre ein paar Kilometer stromabwärts. Die Betonplatten der alten Fährstraße führen heute direkt in den Fluss. Bei Niedrigwasser tauchen die Sandbänke auf. Dann stellt sich ein Strandfeeling ein fast wie an der Ostsee.

Ein paar Kilometer weiter westlich liegt Neulietzegöricke. Das Dorf gilt als das schönste im ganzen Oderbruch. Deswegen sollte man unbedingt das Tempolimit einhalten und in langsamer Fahrt die wunderschön restaurierten Fachwerkhäuser entlang der gepflasterten Dorfstraße bestaunen. Hartgesottene essen im denkmalgeschützten alten Dorfkrug eine Lungwurst. Das ist die Spezialität des Hauses, das heute wenig stilvoll "Zum feuchten Willi" heißt.

Kurz vor Oderaue zweigt eine kleine Straße scharf nach rechts zur Oder hin ab, genauer gesagt zur Europabrücke. Über Jahrzehnte war die im Krieg zerstörte Eisenbahnbrücke gesperrt. 2022 wurde sie wiedereröffnet, aber nur für Radfahrer und Fußgänger. Verbinden soll sie Brandenburg mit dem polnischen Westpommern. In Wirklichkeit verbindet sie das beiderseitige Nichts. Auf der polnischen Seite ist nichts, kein Haus, kein Mensch, gar nichts und auf der deutschen Seite ist ebenfalls nichts, sieht man mal von dem kleinen Parkplatz ab. So fährt man etwas ratlos zurück, wundert sich jedoch bald über eine riesige Kirche, die weithin sichtbar aus der Ebene ragt. Der Dom des Oderbruchs wird sie genannt, aber eigentlich ist es nur die Dorfkirche von Neuküstrinchen. Allerdings ist sie mit ihren über 1200 Plätzen schon ein bisschen zu groß geraten für ein 200-Seelen-Dörfchen. Wenn die Kirche geschlossen ist: Kein Problem, den Schlüssel gibt es beim Nachbarn gegenüber.

Wer schnell mal günstig tanken oder ein bisschen shoppen will, rutscht in Hohenwutzen kurz über die Oder zum Polenmarkt. Hier gibt es vor allem Alkohol und Zigaretten, aber wenn es sein muss auch einen Gartenzaun. Kurz vor Hohensaaten zweigt links ein kleines Sträßchen ab. Jetzt beginnt der fahrerisch schönste Teil der Tour. Denn das Sträßchen hat seine besten Jahre lange hinter sich. Ein Schlagloch reiht sich ans andere. Und es sind wirklich Schlaglöcher. Für PKW ist die Strecke beim besten Willen nicht geeignet. ATV-Piloten hingegen haben mächtig Spaß, aber auch kaum Zeit für einen Blick auf die romantische Alte Oder direkt neben der Straße. Hinter Oderberg wird es für brandenburgische Verhältnisse richtig alpin. Die Straße schlängelt sich am Pimpinellenberg entlang. Der bringt es immerhin auf 120m. Und dann steht man plötzlich vor einem riesigen Betonklotz.

Das ist das neue Schiffshebewerk in Niederfinow. Das alte kommt gleich danach. Das neue Hebewerk ist imposanter, die Stahlkonstruktion des alten aber wirkt irgendwie charmanter. Beide funktionieren. Mit ihnen überwinden Frachtkähne aber auch kleine Sportboote bequem die 36 Meter Höhenunterschied zwischen der Oder unten und dem Oder-Havel-Kanal oben. Wer die Zeit hat sollte sich so einen Hebevorgang nicht entgehen lassen. Für alle anderen geht es jetzt auf dem schnellsten Weg über die B 167 zurück nach Seelow.

4 Räder, 1 Riemen meint: Viel weiter östlich geht in Deutschland nicht. Aber die Mischung aus nicht nur kriegerischer Geschichte, reizvoller Landschaft und imposanter Technik machen die Tour durchs Oderbruch so interessant. Also los.

Die Tour fand statt im Sommer 2023. Die reine Fahrzeit beträgt rund vier Stunden. Wenn man ein bisschen was anschauen möchte, sollte man ruhig einen ganzen Tag einplanen. Wer die Tour als zeriteiliges Google Maps-Roadbook zum Nachfahren haben möchte, schreibt an mail@4r1r.de.

📷 Michael Böttcher, kku